»Sehen ist eine Form von Denken« © Bero Blumöhr; Abb. © Harald Etzemüller

Sehen ist eine Form von Denken

Die fotografische Perspektive

Lassen Sie mich zu Anfang eine Richtigstellung machen. Lange Zeit habe ich die Aussage »Sehen ist Denken« dem Fotokünstler Andreas Gursky zugeschrieben.

Das ist sachlich nicht ganz richtig. Es gibt eine Kunstsammlung mit diesem Titel mit Werken der Fotokünstler Thomas Struth und Thomas Ruff und eben Andreas Gursky. Diese 3 Künstler waren Schüler der berühmten »Becher Klasse« von Bernd und Hilla Becher auf der Düsseldorfer Fotoschule die an das fotografische Werk des Fotografen August Sander die unter anderem mit seinen Ansichten des Menschen im 20. Jahrhundert anknüpfte.

Ein von mir sehr geschätzter Fotograf Göran Gnaudschun aus Potsdam hat mit seinen eindringlichen Portraits dieses Thema ebenfalls aufgegriffen und weitergeführt. Mit seinen eindrucksvollen Portraits von jugendlichen Punks in Berlin gibt er uns so eine neue Sichtweise auf den Menschen im 21 Jahrhundert. Alle diese Fotografen stehen stilbildend für den Blick einer ganzen Generation, die mit ihren Bildern des »präzisen Sehens« kritische gesellschaftspolitische Fragen stellt. Ich habe diese Sichtweisen nun ebenfalls in einer kleinen Portraitserie von Beschäftigten in einem Eissalon, die ich direkt während ihrer Arbeit gemacht habe, ebenfalls aufgegriffen.

»Sehen ist eine Form von Denken« © Bero Blumöhr; Abb. © Bero Blumöhr
»Sehen ist eine Form von Denken« © Bero Blumöhr; Abb. © Bero Blumöhr

Heute leben wir in einer Zeit, in der uns die Flut der gemachten Bilder scheinbar erschlägt.Und wir fragen uns; ist das dann alles Kunst? Natürlich nicht! Denn Sehen, ohne zu denken, ist nicht möglich. Mit einem Blick wird ein Bildkunstwerk ganzheitlich erfasst. Gleichzeitig werden die verschiedenen Aspekte des Bildes analysiert und eingeordnet und sofort stellen sich auch Emotionen ein die wir dann einzuordnen versuchen.

Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen. In zwei Bildern des von mir ebenfalls sehr geschätzten Fotografen Ralph Gibson können wir das erkennen. Ein weiteres Vorbild ist natürlich der sicher jedem bekannte berühmte Fotograf Henri Cartier Bresson. Wir stellen uns nun viele Fragen und versuchen die Bedeutung dieser Bilder zu ergründen, bzw. eine Erklärung dafür zu finden. Aber es gibt keine Erklärung. Alles bleibt geheimnisvoll.

Der Philosoph Roland Barthes hat dies in seinem Essay zur Fotografie »Die helle Kammer« eindrucksvoll analysiert und gesagt: »Der fotografische Blick hat etwas paradoxes. Die Fotografie trennt die Beachtung von der Wahrnehmung und setzt nur die erstere ins Bild, obwohl sie ohne letztere nicht denkbar ist!«

Wenn wir vom Sehen als Denken sprechen, müssen wir auch die verschiedenen technisch- fotografischen Perspektiven berücksichtigen und mitdenken. Wie funktioniert nun unser Sehen wirklich, und wie bildet ein Fotoapparat ab? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein? Solche Fragen stellten sich schon vor fünfhundert Jahren Leonardo da Vinci und Leone Battista Alberti, die mit exakten Projektionen des Raums auf eine Ebene arbeiteten. Die Zentralprojektion erzeugt Bilder, wie sie auch beim Sehen mit einem Auge im Augpunkt entstehen, die sowohl beim einäugigen menschlichen Sehen als auch bei der fotografischen Abbildung zum Tragen kommt. Die Zentralprojektion entspricht der Abbildung der Umwelt durch das menschliche Auge und ergibt somit einen natürlichen Bildeindruck. Eine einfache Lochkamera realisiert genau diese Projektion. Hier ein Bildbeispiel von mir mit einer Lochkamera erstellt:

»Sehen ist eine Form von Denken« © Bero Blumöhr; Abb. © Bero Blumöhr

Wenn wir nun verstehen wie ein Fotoapparat funktioniert und abbildet gibt es also vielfältige Möglichkeiten Bilder herzustellen bzw. zu fotografieren. Entscheidend ist nicht nur der präzise Blick, sondern auch das Bild und die Vorstellung von einem Bild, das sich in unserem Kopf manifestiert, wenn wir fotografieren.

Ein weiteres Beispiel zum Abschluss meines Vortrages sind meine impressionistischen Fotos von Pflanzen, Blumen und anderem organischen Material, die sie hier an meinem Stand sehen können. Ich nenne es »Malen mit der Kamera« bzw. »Color Is Power«! Sie entstehen in vielfältigen stundenlangen Versuchen, komponiert, gestaltet, und ausprobiert, im Wissen über die fotografischen Möglichkeiten mit einem digitalen Fotoapparat. So entstehen neue Bilderwelten die natürlich konstruiert und nicht »Real« sind. Aber sie sind NICHT am Rechner mit »Photoshop« zusammengestellt, sondern »In Situ« vor Ort mit der Kamera realisiert. Eine anschliessende digitale Nachbearbeitung geschieht lediglich in der Korrektur des Bildraumes, der Farben, sowie einem geringfügigem »Wegstempeln« kleinerer Fehler. Also nichts anderes was ebenfalls in der analogen Dunkelkammer gemacht werden kann!

Lassen sie mich nun meinen kleinen Vortrag mit einem Zitat von Andreas Gursky beenden, das er wirklich über seine Arbeit gesagt hat:
»Wirklichkeit ist überhaupt nur darzustellen, indem man sie konstruiert.» (Andreas Gursky)