Was unsere Künstler so machen

Der Fragebogen als kunstwissenschaftliches Experiment

Der Kunstverein Eulengasse betreibt seit seiner Gründung, Ende 2003, in Frankfurt am Main einen Ausstellungsraum mit Projektraumcharakter. Was als Off-Space 1 begann, etablierte sich seit dem Umzug in die neuen Räume mit Atelierhaus in der Seckbacher Landstraße 16 zu einer professionellen und offenen Plattform für zeitgenössische Künstler und Kunstinteressierte, die aus der Kulturlandschaft Frankfurts nicht mehr wegzudenken, dennoch mit kommerziellen Galerien oder dem Frankfurter Kunstverein nicht zu vergleichen ist. Bestimmend dafür sind die von einer Projektversammlung entwickelten, für unterschiedlichste persönliche Sichtweisen auf zeitgenössische Kunst und Kultur.offenen, jährlichen Ausstellungsprogramme, wie »Krise«, »Zu Hause«, »Zu Gast«, aber vor allem ,»Perspektivwechsel«, »Omnibus« oder »Polyversum«, und die dazu jeweils eingeladenen Künstler.

Zum 10-jährigen Jubiläum des Kunstvereins und Ausstellunsraumes Eulengasse wollten wir gerne wissen, was die rund 110 Künstlerinnen und Künstler charakterisiert – 30 davon Vereinsmitglieder, die während der Jahre hier gezeigten wurden. Dazu entwickelten wir einen speziellen Fragebogen mit aussagekräftigen Variablen und setzten den Fragebogen als kunstwissenschaftliches Instrument in Verbindung mit einer qualitativen Querschnittsanalyse ein.

Ergebnisse der Querschnittsanalyse

Die Mehrheit der befragten Künstler der Eulengasse ist dabei politisch interessiert und nimmt kritische Stellung zur Zeitgeschichte, wobei aber nur einige diese Motivation in ihrem Werk als kritisches Zeitdokument oder gesellschaftliche Psychogramme bildkünstlerisch umsetzen. Das wird bedingt durch die äußerst unterschiedlichen künstlerischen Anliegen und Kommunikationsabsichten  und die sehr differenzierten Thematiken der Künstler:

Von dem subjektiven sehr eigenen Blick auf die Dinge dieser Welt mit multiplen Assoziationsmöglichkeiten zu individuellen Wahrnehmungsstrategien und -räumen, die unsere Sehgewohnheiten hinterfragen vom Interesse an der Kommunikation selbst und an der Unbeständigkeit der Gedanken zum Wunsch Emotionen zu erwecken von Kunst um der Kunst willen und der Erkundung neuer medialer Möglichkeiten zu Fragen nach der Definition und dem Wesen menschlicher Existenz in einer sich immer umfassender und rasanter verändernden Welt, in der nicht das Heile, sondern das Bedrohliche fasziniert und bedrückt von der Intention, einen vergessenen Ort und  die dort erlebten Momente festzuhalten zu dem Ziel, dem Entfalten des Menschen einen Raum zu geben, der mehr als nur dessen Bedürfnisse befriedigt.

Sie alle möchten keine belanglose Kunst machen, sondern Kunst, die etwas sagt – aber auf eine eher subtile und nicht so vordergründige Art und Weise Sie alle machen, wovon sie überzeugt sind, dass es jemand machen sollte, und stellen es zur Diskussion: entertain, inspire, educate. Und sie fänden es schön, wenn die Betrachtenden sich amüsieren, erfreuen, nachdenken, geniessen würden, oder angeregt, berührt, fasziniert, begeistert wären.
Nur wenige der Künstler folgen der Eigendynamik des Kunstwerks, die Mehrzahl reflektiert den künstlerischen Schaffensprozess und lässt ihn sich innerhalb eines Konzeptes  frei entfalten, was die Ästhetik des Werkes: seine Farbe, Form und Struktur beeinflusst. Einige von ihnen verstehen dabei die künstlerische Arbeit als experimentellen Weg, welcher der Perfektionierung entgegensteht.

Damit kommem wir zu der vergleichenden Auswertung der Variablen aus den multiple response sets zu eingesetzten künstlerischen Medien und Vorgehensweisen und deren grafische Umsetzung in Diagrammen:

01 Die Zeichnung besitzt eine explorierende Funktion und ist zugleich auch autographe Schrift. „Il disegno è una cosa mentale“, verkündeten schon die Meister der italienischen Renaissance. Die Linie wird durch ihre innere Schwingung zur autonomen Kraft; die Linie erkundet das Chaos und gestaltet den Kosmos. 66%  der befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse pflegen die Zeichnung als Konzeptions- oder Ausdrucksform. So wird die Zeichnung zu einer Form der Selbstdarstellung, zu einer direkten Notation der sowohl spontanen als auch gesteuerten kreativen Inspiration.

02 Malerei und Collage // 87%  dieser zeichnenden Künstler arbeiten auch mit Malerei (74%) und/oder Collage ( 60%). Malerei mit Farbe und Struktur ist also wieder, oder immer noch, ein bevorzugtes Medium zeitgenössischer Künstler. So sind 60% der befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse Maler, wovon mehr als die Hälfte (52%)  die Collage pflegt, da sie ein experimentelles und spielerisches Farb-  und Formdenken ermöglicht.

03 Assoziatives vs. konzeptuelles Vorgehen // 83% der befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse arbeiten mit assoziativen Bildern, Objekten und Symbolen. Davon sind 81% Maler  und 46% Fotografen respektive Film- und Videokünstler. Die zeitgenössischen Künstler erschaffen somit ihre eigenen metaphorischen Bildwelten, die ihrem künstlerischen Anliegen, ihrer Kommunikationsabsicht oder Thematik entsprechen. Über die Hälfte der befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse setzen bei der Entwicklung ihrer assoziativen Bilder Objekte und Symbole  konzeptuelle Vorgaben ein.  Weitere 30% arbeiten rein assoziativ und 12 %  nur konzeptionell. Wobei letztere vor allem Film- und Videokünstler sind.

04 Raum und Zeit (I)  // 25%  aller befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse zeigen sehr komplexe Vorgehensweisen. Sie arbeiten nicht nur nach eigenen konzeptionellen Vorgaben und führen diese in assoziativen Bildern, Objekten und Symbolen weiter, sondern beziehen außerdem die Dimensionen Raum und Zeit in ihr Werk mit ein. Wie klassische Universalgelehrte repräsentieren sie professionelle Qualität und spinnerten Elfenbeinturm zugleich.

05 Fotografie, Film und Video // 66% der befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse benutzen Fotografie oder Film und Video als künstlerisches Medium. Und das ist ein neuer erfreulicher Trend. Davon sind 50% nur Fotografen und  40% nur Film- und Videokünstler. Interessanter Aspekt: Bei fast ein Viertel aller Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse, die fotografisch unterwegs sind, spielt die räumliche Dimension keine Rolle.

06 Neue Medien // Hingegen tummeln sich nur 18%  aller befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse auf dem Feld der Neuen Medien. 50% davon arbeiten auch im Bereich Film und Video.

07 Assemblage, Objekt, Installation // Nur ein Viertel aller befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse  arbeiten mit Assemblagen,  einer sehr beliebten Kunstform der Moderne, die größtenteils aus Readymades zusammengebaut wird, daher scheinbar leicht zu beherrschen ist. Und wir stellen fest, dass  mehr als 50% davon gleichzeitig Objektmaker und/oder Installationskünstler sind. Außerdem gehen fast die Hälfte dieser Assemblagekünstler nicht von der Zeichnung aus und benutzen dieses Medium nicht, weil sie dem plastisch-räumlichen Denken verbunden sind.

Über die Hälfte der befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse beschäftigt sich mit objekthafter oder installativer Kunst und fast alle arbeiten da mit der Dimension des Raumes. Davon wiederum die Hälfte gleichermaßen mit beiden Kunstformen. Jedoch nur ein Drittel davon ausschließlich mit Installationen.

08 Bildhauerei // Klein ist die Zahl der Bildhauer unter den befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse: 18%.  Zwei Drittel von ihnen machen aber auch Objekte und Installationen.

09 Sound & Light // Auch Sound und Licht wird nur von 18% der befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse repräsentiert, davon  zwei Drittel Sound und ein Drittel Licht.  Und dann sind sie meistens mit Film und Video verbunden.

10 Performance // Fast ein Viertel der befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse arbeiten mit Performance als künstlerischem Ausdrucksmittel. Übrigens hat diese Kunstgattung auch schon den Kunstmarkt erreicht. Die Hälfte dieser Performancekünstler produziert dabei Film oder Video als eigenständiges  Endprodukt, um die Flüchtigkeit des Show-Momentes aufzuzeichnen. Während eine andere Hälfte auch/oder Fotografie zur Dokumentation hinzunimmt.. Wobei zwei Drittel der Performancekünstler außerdem auch Maler sind.

11 Raum und Zeit (II) // Gut ein Viertel der befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse blendet den Raum aus seinen künstlerischen Betrachtungen aus und arbeitet nur zweidimensinal. Erstaunlich: fast zwei Drittel der befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse beziehen die Zeit als Koordonate in ihr Werk ein.

Fazit für die Kunstvermittlung

Indem wir den Fragebogen als kunstwissenschaftliches Instrument eingesetzt  und ihn vermittels einer qualitativen Querschnittsanalyse ausgewertet haben, konnten wir zu diesen äußerst interessanten Ergebnissen kommen. Abschließend möchten wir auf die Aussagen einiger der befragten Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse hinweisen, zu dem was sie mit diesem Ort verbindet, die Sie an verschiedenen Stellen des Jubiläumsmagazin wiederfinden werden. Exemplarisch dafür  sollen hier die beiden Initiatoren des Vereins und Ausstellungsraumes Eulengasse stehen, die für diesen Ort die Attribute : »kreativ, lebendig, zeitgenössisch« definiert haben.
Vladmir Combre de Sena sagt (pragmatisch) »Es ist ein prozesshafter Verband von Kunstinteressierten und Kunstmachern.« Harald Etzemüller: (idealistisch, enthusiastisch) »Alles. Vom Beginn. Jeden Tag. Immer wieder. Hoffentlich noch lange. Gerne. Mit Freude.«

Wir freuen uns, auch als Autorin dieser aufschlussreichen kleinen Studie, die sicherlich eine Außenseiterstellung in der Kunstvermittlung einnimmt, dass der Bereich der Vermittlung derzeit zunehmend Aufmerksamkeit in internationalen Diskussionen des Ausstellungsfeldes erhält.

»In den letzten Jahrzehnten haben sich künstlerische Ansätze etabliert, die Vermittlung, Partizipation, soziale Anliegen und temporäre Interventionen ins Zentrum künstlerischer Arbeit stellen. Während also zum einen Vermittlung und Partizipation Teil von Kunst werden, etabliert sich zum anderen seit den 1990-er Jahren ein eigenständiges Praxis- und Berufsfeld von Kunstvermittler/ -innen, die das Verhältnis von Kunst, Institution und Vermittlung reflektieren und theoretische wie praktische Ansätze mit kritischem emanzipatorischem Anspruch entwickeln.
Vermittlung muss anscheinend Situationen schaffen, in denen Wahrnehmungen  konsequent zum Ausgangspunkt für Handeln und Reflexionen werden.« 2

Als professionelle und offene Plattform für zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler sowie Kunstinteressierte, die aus der Kulturlandschaft Frankfurts nicht mehr wegzudenken ist, kann der Kunstverein Eulengasse, wie diese Querschnittsanalyse zeigt, über seinen projektorientierten Ausstellungsraum   Netzwerke stricken und Strukturbildung anregen.

Wir wünschen ihm dabei eine erfolgreiche und produktive Zukunft.

Quellen:
1  Als Off-space oder Projektraum werden nichtkommerzielle, unabhängige Ausstellungsräume für junge, unetablierte zeitgenössische Kunst bezeichnet, die oft in Künstlerateliers, zwischengenutzten Räumen oder in Privatwohnungen geführt werden. Im Vergleich zu Galerien und Institutionen ist das Programm in Off-Spaces flexibler, kostengünstiger und subjektiver gestaltbar. Betreiber sind meist selbst Künstler, häufig auch Kunststudenten.  Engl. »Artist-Run Space«  oder »Alternative Space«. Es sind Alternativen zur etablierten Kunstszene.
3  Marion Thuswald (Akademie der bildenden Künste, Wien) in Tagung DSCHUNGEL Wien und ASSITEJ Austria: Was ist Kunstvermittlung?, 31. Januar 2013, Wien.
3 Individuen der gleichen Art – hier zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler des Ausstellungsraumes Eulengasse.
4 Standardisiert heißt, daß jeder befragten Person dieselben Fragen in derselben Formulierung und in derselben Reihenfolge gestellt werden

Kasten:

Zur Methodik der Querschnittsanalyse

Eine Querschnittsanalyse macht Strukturunterschiede sichtbar und ist eine einmalige Erhebung und Auswertung eines Ist-Zustandes. Sie untersucht und vergleicht  mit Hilfe einer Datenmatrix die Ausprägung von Variablen einer Population 3 zu einem gegebenen Zeitpunkt. Da wir uns für die Datenerhebungstechnik der stark strukturierten schriftlichen Online-Befragung entschieden haben, hatten wir keine Interviewkosten und erhielten ehrlichere und überlegtere Antworten der Befragten. Die starke Standardisierung 4 des Fragebogens und des Ablaufs der Befragung gewährleisteten die Vergleichbarkeit der Ergebnisse über alle Befragten hinweg
Dabei wurde jeder einzelne Themenbereich über sämtliche ausgefüllte Fragebögen vergleichend betrachtet. Auch hatten wir die Möglichkeit, über die standardisierten Daten von einer Stichprobe auf eine größere Grundgesamtheit schließen zu können
Die konkrete Formulierung der Fragebogen-Fragen war das Resultat einer gründlichen Konzeptspezifikation und Operationalisierung.

So kombinierten wir die vorgegebenen Antwortalternativen geschlossener Fragen nach Ästhetik und Konzept des Werkes mit offenen Fragen, bei denen der Befragte seine Antwort in eigenen Worten formulieren konnte. Außerdem stellten wir Fragen nach künstlerischem Medium sowie Vorgehensweise mit der Möglichkeit zur Mehrfachantwort (multiple response set), wobei die zahlreichen Variablen angekreuzt, oder nicht angekreuzt werden konnten. Generell waren es kurze, neutral formulierte, balancierte und konkrete Fragen. Es wurden Informationen nach Einstellungen, Verhalten und Eigenschaften der im Ausstellungsraum Eulengasse gezeigten zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler abgefragt, die sich mit Werk und Vita sowieso geoutet haben; also Personen des öffentlichen Kulturlebens sind, so dass auf  eine glaubwürdigere Zusicherung von Anonymität verzichtet werden konnte.