Gießkannen und Almosen

Über die Disproportionalitäten in der städtischen Kulturförderung

Verteilung der Kulturförderung
Wer den Produkthaushalt der Stadt Frankfurt unter dem Aspekt der Kulturförderung durchsieht, wird feststellen, daß die ausgezahlten Beträge eine enorme Bandbreite aufweisen. Das reicht von 500 € für eine Ausstellung eines kleinen Kulturvereins bis hin zu 65 Mio. € für die Städtischen Bühnen. Und bedeutet ein Verhältnis von über 1:100.000!
Ist eine solche extreme Spreizung typisch für die Kulturförderung?
Der holländische Ökonom Hans Abbing legt in seinem Buch »Why are artists poor?« nahe, daß die gesamte Kultur von außerordentlichen Einkommensunterschieden geprägt ist. Nach seiner Einschätzung werden die höchsten Einkommen überhaupt nur in der Kultur erzielt. Beispiele sind JK Rowling, Mick Jagger, Paul McCartney, Michael Jackson, die mit ihrer Kunst zu Milliardären wurden. Top incomes in the arts (broadly defined) are considerably higher than in all other professions that require similar levels of training (thesis 28). Die überwiegende Masse der Kulturschaffenden ist dagegen arm. Das Durchschnittseinkommen von den in der Künstlersozialkasse organisierten selbständigen Kreativen betrug 2010 in Deutschland 11.000 €, pro Jahr.

Betrachten wir den Kulturhaushalt der Stadt Frankfurt ein wenig genauer: Wenn man die Fördermaßnahmen des Kulturhaushaltes nach unten kappt, so dass der niedrigsten Förderung den Vorteil eines immerhin minimalen Einkommens für eine Person zugestanden wird, und wenn man den extremen »Ausreißer« nach oben, den institutionellen Zuschuss für die Städtische Bühnen weglässt, so ergäbe sich eine Differenz von 50.000 € (Dramatische Bühne) zu 5,4 Mio. € (Schirn Kunsthalle). Das ist immer noch ein Verhältnis von 1:100.

Eine Anmerkung: Im Vergleich zur Einkommensverteilung innerhalb von Staaten weltweit wird ein Einkommensunterschied von 1:100 zwischen den 10% der geringsten und 10% der höchsten Einkommen nur von Ländern wie Namibia, Lesotho, Botswana und Paraguay erreicht. Also Entwicklungsländern. Den höchsten Einkommensunterschied der G8-Staaten hat die USA mit 1:16. Deutschland liegt mit einem Verhältnis von 1:7 im unteren Drittel. Nun ist der Kulturhaushalt kein Staat.

Im Gegensatz zu den Einkommen innerhalb einer Nationalökonomie beruht die Verteilung von Fördergelderm jedoch nicht auf einem schwer zu durchschauenden Geflecht von Interessenslagen, sondern geht auf einen einzigen Geldgeber zurück, der öffentlichen Hand. Insofern müssen die extremen Unterschiede in der Bandbreite der Förderung verwundern.

Seit der Kommunalwahl 2011 war es mir ein Anliegen, an die Einzelaufstellung der Förderungen des Kulturamts für einzelne Projekte zu kommen. Denn im städtischen Haushalt sind sie nur in ihrer Gesamtsumme von 70.000 € verzeichnet. Dies ist gelungen. Nun wird erstmals sichtbar, wer wieviel Geld für welches Projekt bekommen hat. Von den insgesamt 50 Projekten des Jahres 2010 (neuere Zahlen liegen nicht vor) erhielten lediglich drei Projekte  eine Fördersumme über 2.000 €, 2/3 aller Projekte lag zwischen 1.000 und 2.000 €, der Rest darunter. Die durchschnittliche Förderhöhe betrug (nach Abzug der drei »Ausreißer« nach oben) 1.000 € je Projekt. Der Haushaltsposten »Projekte der Bildenden Kunst« ist der einzige Bereich der städtischen Kulturförderung, aus dem Künstler auf eigene Initiative hin Zuschüsse beantragen können. Insofern überrascht die hohe Anzahl der Einzelpersonen nicht. Knapp 60% der Förderungen wurden von Einzelpersonen (Künstlern) beantragt, das waren 29 von ca. 1.200 bildenden Künstlern, die laut Aussage des Berufsverbandes BBK in Frankfurt am Main leben und arbeiten. Die geringe Quote von bloß 2,4% an der Gesamtzahl der Künstler ist nicht auf deren Desinteresse an öffentlicher Projektförderung zurückzuführen, sie ist eher Anlass zur Feststellung, dass das Programm dieses Haushaltspostens in Künstlerkreisen nicht so bekannt ist. Desweitern ist auch der Aufwand zur Erlangung einer dann doch recht geringen Projektförderung unverhältnismäßig hoch, denn für diese doch geringe durchschnittliche Förderung muss ein Antrag gestellt werden, der ein Projektexposé, einen Ausgaben- und einen Finanzierungsplan enthält. Ein Projekt hat auch nur Aussicht auf Förderung, wenn Mittel aus anderen Quellen (Eigenmittel, Förderung seitens Dritter) gesichert sind. Und schlussendlich muss nach Projektabschluss der übliche Nachweis über die rechtmäßige Verwendung der Fördergelder erstellt werden. In ökonomischen Kategorien wie Aufwand und Ertrag übersetzt ist die administrative Praxis in Frankfurt  gelinde gesagt suboptimal.

Wenn die öffentliche Aufgabe, Kunst und Kultur zu unterstützen noch von der Absicht geprägt sein sollte, Marktversagen (Hans Abbing) auszugleichen, ist schwer zu verstehen, warum wenige viel und viele sehr wenig aus dem Kulturhaushalt erhalten. Bei einer angenommenen Korrelation von Einkommensspreizung und Einkommensarmut scheint die gegenwärtige Verteilungspraxis kaum geeignet, die finanzielle Lage der Kulturschaffenden zu verbessern.

Warum regt sich dagegen kein Widerstand?

Grafik oben: Stefan Beck // Quelle des Beitrags:
www.thing-frankfurt.de/content/2011/anteil-der-bildenden-kunst-am-kulturhaushalt-frankfurt
www.thing-frankfurt.de/content/2011/verteilung-der-kulturfoerderung
www.thing-frankfurt.de/content/2011/kulturetat-2010-projekte-der-bildenden-kunst

Illustrationen: Harald Etzemüller