Künstlerin in Offenbach

Heute möchten wir Ihnen eine ungewöhnliche und vielseitige Künstlerin vorstellen, die ihre Künstlerexistenz als striktes Gegenprogramm zum Bürgerdasein lebt. Lassen Sie sich entführen in die faszinierende Gedankenwelt der leidenschaftlichen Malerin und Konzeptkünstlerin Verena Lettmayer!

Ein TV-Feature

Offenbach – ungeliebte, kleine Schwester der Bankenstadt Frankfurt, gelegen inmitten des Rhein-Main-Gebietes im Herzen Deutschlands… Für ihre Idylle und Schönheit ist sie nicht gerade bekannt, die Kleinstadt
am Main. Allzu deutlich haben die Zerstörungen des 2. Weltkrieges und der Modernisierungswahn des Wirtschaftswunders ihre Spuren hinterlassen und dieser Stadt einige schwere Bausünden beschert; doch gerade dies hat einen eigentümlichen Charme… Gigantische Betonbrücken und graue klotzige Hochhäuser prägen das Bild der Innenstadt… Nicht weit von hier finden sich jedoch schöne, alte Stadthäuser aus der Gründerzeit und ein idyllischer Marktplatz… Dazwischen drängeln sich die Offenbacher, ein buntes Gemisch aus einer Vielzahl von Nationalitäten… Offenbach, ein brodelnder Schmelztiegel der Kulturen, vielleicht einzigartig in Mitteleuropa!
Hier lebt und arbeitet die Künstlerin Verena Lettmayer, die sich seit einigen Jahren abseits vom großstädtischen Rummel der Frankfurter Kunstszene eingerichtet hat. Offenbach ist für sie Herausforderung und Inspiration zugleich: »Offenbach ist für mich zunächst mal ein unheimlich starker und spannender Ort (…) die Urbanität, und diese Vielfalt, das sind für mich Herausforderungen, die inspirieren. So eine Umgebung bringt einen einfach weiter, gerade weil sie so unbequem ist. Es ist ja so eine Art ästhetisches Vakuum, und das zwingt mich als Künstlerin dann auch, Stellung zu beziehen, und eine ganz eigene künstlerische Konzeption zu entwickeln!«

Wir ließen Verena Lettmayer mit Dr. phil. Sylvia Fehling (Universität Kassel) zusammentreffen. Die folgenden Auszüge aus dem Gespräch geben weitere spannende Einblicke in den faszinierenden kreativen Kosmos der Künstlerin:

Dr. phil. Sylvia Fehling:  »Frau Lettmayer, können Sie vielleicht ganz kurz skizzieren, was Sie mit Ihrem Werk ausdrücken wollen??«
Verena Lettmayer: »Ach, wissen Sie, das ist ja ein weites Feld. Zunächst will ich festhalten, dass es mir GANZ wichtig ist, mich NICHT in Schubladen stecken zu lassen (…) Für mich ist eigentlich Ehrlichkeit und Authentizität am allerwichtigsten. Da, wo es Schnittstellen gibt zwischen Malerei und neuen Medien, da wird es für mich erst spannend. Ich muss einfach tun, was ich tun muss. Man muss sich da auch irgendwo ausprobieren. (…) Heutzutage muss man da einfach auch neue, (…) Cross-Over-Strategien entwickeln, um mit diesen ganzen neuen Anforderungen klarzukommen. Und das finde ich dann auch spannend. Es ist ja auch immer wieder eine Herausforderung, in dieser schnelllebigen Zeit immer wieder aus sich selbst zu schöpfen, und so sein Werk zu schaffen!«
S.F.: »Das ist ja unheimlich spannend. Beim Betrachten Ihrer Werke habe ich mich ja dann auch gefragt, wie Sie denn so die Aufgabe des Künstlers sehen, in unserer heutigen Gesellschaft, die ja unheimlich stark von Bildern geprägt ist.«
V.L.: (schmunzelt) »Das ist eine interessante Frage, die stellt man sich ja schon auch mal selber. Künstler haben ja immer außerhalb der Gesellschaft gestanden und in gewisser Weise auch an ihr GELITTEN! Ein Künstler ist ja immer auch Außenseiter, und in dieser Tradition sehe ich mich auch. Ich finde es auch spannend, sich den herrschenden Konventionen zu entziehen, ich will der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Ich sehe es als Aufgabe von Künstlern an, sich über bestehende Normen hinwegzusetzen. Da sind dann so normale moralische und materielle Werte nicht mehr so wichtig. Man muss schon auch Opfer bringen, aber das bringt einen ja schließlich auch weiter. (…) Äußerlichkeiten interessieren mich einfach nicht mehr, ich bin da einfach schon weiter. Ich denke einfach, dass ein Künstler unbequem sein muss!!«
S.F.: »Das ist ja sehr brisant, was Sie hier vertreten. Und als letzte Frage: WIE fühlen Sie sich als Frau im Kunstkontext?«
V.L.: (räuspert sich) »Also, äh, ähm, Ich hab‘ eigentlich noch nie Probleme gehabt, dass ich irgendwie benachteiligt worden wäre, nur weil ich eine Frau bin. Ich denke, man sollte das auch nicht so hochspielen, es hat sich ja doch einiges getan! Heutzutage hat doch eigentlich jeder die gleichen Chancen, die es eben auch zu NUTZEN gilt! (…) Mittlerweile sind doch an allen großen Gruppenausstellungen auch Frauen beteiligt, und es gibt ja heutzutage mehr Kunst-Studentinnen als Studenten, und Professorinnen gibt es auch, z.B. im Hochschulbereich. Man darf da auch nicht zu ungeduldig sein, und alles auf einmal wollen. Letztlich denke ich, dass sich gute Kunst immer durchsetzt. In der Kunstwelt gibt es ja viel mehr Freiräume als in der Gesellschaft sonst, weil sich die Kunstwelt halt außerhalb von gesellschaftlichen Konventionen bewegt. Da ist so etwas einfach kein Thema mehr. Äußerlichkeiten wie Geschlecht oder Rasse spielen da eigentlich keine Rolle mehr, das IST ja das Schöne. Sogar die „documenta“ hatte schon einmal eine Frau als Kuratorin, und dieses Jahr war das ja ein Schwarzer, also, da tut sich schon einiges. Ich denke, es ist auch einfach übertrieben, das ständig zu thematisieren; mit der Zeit regelt sich das schon von alleine. Man will ja auch keine Quotenregelung einführen (schmunzelt), denn letztlich zählt dann doch nur das künstlerische Talent, ob man das hat oder nicht!!«

Kreatives Chaos – augenscheinlich notwendig, um ganz eigene künstlerische Haltungen zu entwickeln. Wir treffen die Künstlerin vor Ort im Atelier beim Malen an. Über lange Jahre hat sie sich gegen alle Widerstände mit diesem ältesten künstlerischen Medium auseinandergesetzt und in intensiver Konzentration zu ihrer ureigensten künstlerischen Form gefunden. (…) Die Bilder der leidenschaftlichen Malerin erscheinen dabei nur auf den ersten Blick farbenfroh und harmonisch; dahinter verbergen sich allgemeinmenschliche Abgründe, vor denen unsere Gesellschaft nur allzu gerne die Augen verschließt. Denn das gilt Verena Lettmayer als der wahre Tabubruch unserer Zeit: alles Unpassende und Unschöne wird einfach beiseite geschoben:
V.L.: »Mich interessieren einfach immer wieder Themen, die gegen Widerstände anrennen, ich weiß auch nicht, warum (…). Malerei hat es ja heutzutage schwer, sich gegen die ganzen neuen Medien durchzusetzen. Aber ich denke einfach, dass die Menschen diese Sinnlichkeit und dieses Archaische, Lustvolle, was ich in meinen Bildern herüberbringen will, annehmen und einfach auch brauchen. Eine mediale Brechung ist mir dann schon auch wichtig!«

Aber auch mit moderner Technik ist Verena Lettmayer wohlvertraut. So entstehen viele ihrer eher konzeptuellen Arbeiten mittlerweile am Computer. Für die Künstlerin bildet die Kombination aus traditionellem Maler-Atelier und Computer-Arbeitsplatz eine Art Labor, einen multimedialen Cross-Over-Ort. Die cross-mediale Überschneidung von künstlerischen und technologischen Medien ist Verena Lettmayer immens wichtig:
V.L.: »Meine Arbeit hat mich irgendwann an den Punkt gebracht, wo ich gemerkt habe, wie unheimlich wichtig und spannend die Auseinandersetzung mit den neuen Medien sein kann. Ich denke, man sollte da auch aufgeschlossen sein, da bieten sich ja unheimlich viele neue Möglichkeiten (…) es ist ja auch so, dass sich aus dem Medium selbst neue Ideen schöpfen lassen, das Medium selbst beeinflusst ja auch die künstlerische Arbeit. Und das finde ich eben unheimlich spannend!«

Das Offenbacher Mainufer – Enten, Schwäne und viele andere Wasservögel tummeln sich hier; die Atmosphäre erscheint fast friedvoll in diesem Refugium der Natur, nur wenig abseits vom dichtgedrängten Chaos der Innenstadt. Wie viele gestresste Städter kommt auch die Künstlerin Verena Lettmayer regelmäßig hierher, um wenigstens vorübergehend dem hektischen Großstadt-Dschungel zu entfliehen. Die Natur ist für sie ein Ort, wo sie wieder ein Stück weit zu sich selbst finden kann; hier kann sie am besten über neue Arbeiten nachdenken.
V.L.: »Natur ist für mich unheimlich wichtig, ich brauche es einfach, weil ich hier am besten zu mir selbst finden kann. Das Ursprüngliche und diese Unverdorbenheit der Natur, die wird immer mehr zurückgedrängt und zerstört, (…) dabei ist das unheimlich wichtig. Unsere Gesellschaft ist ja nur noch profit- und konsumorientiert, ich finde das unmöglich; alles ist ja heutzutage nur noch künstlich, (…) früher, als die Leute noch ursprünglicher gelebt haben, (…) im Einklang mit der Natur. (…) die waren dann auch einfach mit weniger zufrieden und trotzdem glücklich. Ich brauche es einfach, mich auch mal zurückzuziehen, und neue Energien aufzutanken.«

Zurück im Großstadt-Dschungel besuchen wir als letzte Station einen kleinen, verrauchten Club, mitten in der grauen Betonlandschaft der Offenbacher Innenstadt gelegen. Auch hier treffen wir auf die Künstlerin, diesmal jedoch in einem gänzlich anderen Metier. Denn Verena Lettmayer hat viele Interessen. Zusammen mit Dj-Kollege Bernd Thiele, selbst Filmemacher, legt die vielseitige Künstlerin hier regelmäßig ihre Lieblingsplatten auf; Als DJ Verenabernd sind die beiden bekannt. Der vermeintliche Gegensatz zwischen Künstler und DJ scheint die unkonventionelle Künstlerin wenig zu stören:
V.L.: »Kunst-Machen und Musik-Auflegen schließen sich für mich überhaupt nicht aus, das sind einfach verschiedene Facetten meiner Persönlichkeit, die ich da auslebe. Ich will mich da auch gar nicht festlegen lassen.(…) mein Dj Partner und ich, wir legen immer abwechselnd ein Stück auf, (…) weiß man halt nie, was als nächstes kommt, man muss dann ganz spontan reagieren … das macht die Sache erst spannend.(…) das Set steht nicht vorher fest, wir machen das ja so als konzeptuelle Aktion, (…) da redet keiner dem anderen rein, das klappt immer ganz wunderbar, weil man sich gegenseitig inspiriert, und Bernd ist da sehr unkompliziert.«

In der Tat lässt sich die Musikauswahl des kreativen DJ-Duos nur schwer in eine stilistische Schublade pressen; geradezu postmodern ist die Abfolge der Stücke, und nicht gerade leicht lässt sich das unkonventionelle Set konsumieren; zu abrupt und unvorhersehbar sind die Stilwechsel, auf experimentelle Electronica folgt dann schon mal eine Hit-Single von aus den aktuellen Charts …

Ausklang
(Die Künstlerin wandelt in Zeitlupe am Flussufer entlang. Es ertönt „Move on“ von ABBA.)

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