Lieber im Wirbel leiden als im Stehen schlafen

Poesie meets Trash: Mit dieser Rebellin möchte man untergehen. Der Debutroman über eine Heldin zwischen Scheitern und Feiern, zwischen Ladendiebstahl und Kunst. Auszug aus dem druckfrischen Roman Hausverbot der ehemaligen HfG-Professorin Mariola Brillowska.

Ich fuhr mit dem Taxi zu Kampnagel. Ab vierzehn Uhr fand dort der Bühnenaufbau für die PeKaEs, um sechzehn Uhr die technische Probe statt. Um zwanzig Uhr begann die Show. Als Jury hatte ich diesmal lauter Promis: den Kölner Zuhälter Bert Wollersheim, die berühmteste Ex-Hure Deutschlands Domenica und den poetisch-subversiven Rapper der Combo Puppetmastaz Maxwell Turner. Wegen der Promis wurde die PeKaEs in der Bildzeitung, auf ErTeEl, im EnDeEr, bei Sateins und im Hamburger Abendblatt angekündigt. Die meisten waren aber nur an Domenica interessiert und wollten sie vor Ort interviewen. Sie war wahnsinnig bekannt. Sie war noch zu ihren Prostitutionszeiten von den Celebrities entdeckt worden. Sie verkehrte mit Musikbands wie Trio, Künstlern wie Tomi Ungerer und Horst Janssen, Schriftstellern wie Hans Eppendorfer und Wolf Wondratschek, Filmern wie Peter Kern, Theatermachern wie Peter Zadek und sogar mit Adligen wie Gloria und Johannes von Thurn und Taxis. Nachdem sie vor zehn Jahren aufgehört hatte, auf Pauli als Domina zu arbeiten, wirkte sie eine Weile in verschiedenen Modeshows, Theaterstücken, Filmen und auf Fotos als Muse, bis sie Streetworkerin wurde, die jugendlichen Junkie-Nutten beim Ausstieg half. Das gab sie irgendwann auf und betrieb auf Pauli die Gaststätte Fick, die sie in Domenica umtaufte, aber leider wegen zwanzigtausend Mark Steuerschulden schließen musste. Nun hatte man schon lange nichts mehr von ihr gehört. Ich hatte sie nur deswegen engagiert, weil James, der jetzt ihr Butler war, mir das Ohr abkaute, ich sollte Domenica in die PeKaEs einladen. Sie sei geradezu depressiv, da sich niemand mehr für sie interessiere. Sie brauche wieder etwas Rampenlicht.

Als ich auf Kampnagel ankam, warteten mehrere Journalisten und Fernsehteams wie die Paparazzi im Foyer, obwohl noch längst nicht Abend war. Ich hatte ihnen doch gesagt, dass Domenica frühestens um neunzehn Uhr dreißig kommen würde und erst nach der Show interviewt werden konnte. Ich ging zur Bühne und hatte sofort jede Menge Stress mit allem und allen. Das Personal von Kampnagel war bekannt für seine Bockigkeit und Unkooperativität. Es arbeitete langsam, um gleich zwei Schichten statt einer abzurechnen. Es gab einen Bühnenmeister, einen Beleuchter, einen Tonmann und einen Videotechniker. Jeder von denen hatte einen Assi. Deren Honorare gingen von meinem Gesamtbudget ab. Wenn der eine gerade eine Pause einlegte, konnte der andere nichts tun. Sie gingen ständig Werkzeug holen und kamen erst eine halbe Stunde später wieder. Oleg, mein ukrainischer Bühnenbildassistent und Kameramann sowie Student, hatte sich mit denen bereits angelegt, bevor ich gekommen war. Die Stimmung war schlecht. Die Zeit lief davon. Ich schimpfte nur. Der Videotechniker konnte nichts einstellen, weil das Bühnenbild mit den Projektionsleinwänden noch nicht eingerichtet war. Der Beleuchter wartete auf das Bühnenbild. Der Tonmann wartete auf den technischen Durchlauf. Ich wartete darauf, dass alles endlich fertig wurde, damit ich mich auf die Promis konzentrieren konnte.

James brachte Domenica eine halbe Stunde früher als geplant. Typisch James. Er musste immer auf sich aufmerksam machen. Ich führte Domenica und James in die Kantine und gab ihnen die Mitarbeiterausweise, mit denen sie alles billiger bestellen konnten. Kaum war ich zurück auf der Bühne, kam schon jemand aus der Kantine, der mich fragte, ob ich Domenicas Getränke bezahlen würde, da sie selber außer einem Fünfhunderter kein Geld dabei hätte. Ich nickte. Typisch Domenica. Sie musste unbedingt ihre Zugehörigkeit zum kriminellen Milieu vorführen. Als Statement sozusagen. Denn nur in diesen Kreisen gab es die Fünfhunderter im Umlauf. Viertel nach sieben tauchte Bert Wollersheim mit seiner Managerin auf, auch so einer Art Butlerin wie James. Die Managerin wollte als Erstes das Honorar von Wollersheim im Voraus kassieren. Ich dachte, meine Güte, warum ließ ich mich auf diese Halbwelt ein? Woher kam bei mir dieses Faible für Nutten und Zuhälter? Was reizte mich denn an diesen Menschen, dass ich sie in meine Shows einlud? Es ging mir nie darum, sie vorzuführen, weil sie marginal lebten. Ich fand sie wohl gut, weil sie mir das Gefühl gaben, dass nicht alle Deutschen die deutsche Ordnung verkörperten. Sie waren auf meinem Level. Dennoch trennten uns Welten. Ich tröstete mich damit, dass mit Maxwell wenigstens einer meiner Gattung dabei sein würde. Bei dem musste man aber auch aufpassen. Weil er eine Egomacke hatte und unerträglich sein konnte. Wie jeder Künstler, jede Nutte, jeder Zuhälter, wenn das Rampenlicht auf sie strahlte. Und wehe, es strahlte nicht. Ich zahlte der Managerin die Kohle für Wollersheim und den Hotelanteil aus. Wollersheim wollte nicht in der Künstlerpension in Sankt Georg übernachten. Die Managerin buchte für ihn eine Suite im Grand Elysée zum zehnfachen Preis und bestand darauf, das für die Künstlerpension nicht ausgegebene Geld einzukassieren.

Wegen der Promis und des entsprechenden Medienrummels kringelte sich schon ab halb acht eine Zuschauerschlange vor dem Eingang. Ich wurde nervös. Wir waren immer noch nicht fertig. Domenica sollte Soundcheck machen, ging aber ständig aufs Klo zum Koksen und kam nicht wieder, weil sie doch jetzt schon Interviews gab. Ihre wahnsinnig tiefe Stimme konnte nicht von irgendjemand imitiert werden, und schon gar nicht von James. Ich meckerte ihn an, dass Domenica offenbar nur auf ihre Interviews und nicht auf meine Show Bock hatte. Wollersheim brauchte unbedingt einen Kamm. Der war ja von Beruf Frisör und achtete penibel auf seine Frisur. Ich hatte meine Moderationszettel irgendwo verlegt. Oleg fehlte ein Kabel für seine Live-Kamera. Mir fehlten Assistenten. Außer Oleg hatte ich keinen, und der war gerade beschäftigt. Ich fluchte: Schrott Kampnagel, Schrott Techniker, Schrott Budget!

Pünktlich um acht gingen die Türen auf. Das Publikum stürzte rein. Schrott drauf. Ich zog die Show durch. Ich stellte die prominente Jury vor. Ich suchte nach Kandidaten für den Porno-Karaoke-Wettbewerb. Ich erklärte die Spielregeln. Ich sagte das Sketchduo Triumph Unternational mit Philipp und Wiktor an. Domenica verschwand wieder auf dem Klo. Nervig. Die erste Stöhnrunde ging los. Ich gab den Kandidaten ordentlich Wodka zu trinken, damit sie sich was trauten und es  später auf den Fotos für die Dokumentation nicht nur nach PeKaEs, sondern auch nach BeEmEs aussah. Ich gab James Zeichen, er solle Domenica holen, weil gleich die Jury mit ihrem Urteil dran war. Langsam wurde mir klar, warum James bei dieser Frau gelandet war. Mit ihrer Renitenz passte sie wunderbar zu ihm. Zum Glück kam sie schnell zurück, setzte sich bräsig auf ihren dicken Arsch und wusste natürlich nicht, worum es ging, quatschte aber vollgekokst was von der Herbertstraße. Maxwell rappte eine Ode auf das Stöhnpärchen Numero eins, wobei ich wusste, dass das seine Bekannten waren. Wollersheim kämmte sich ständig das Haar, ohne sich deswegen zu genieren. Zu mir machte er so eine Geste, die wohl hieß, alles klar, er sei mit dem Ergebnis einverstanden. Ich sang meinen Schlüpfersong und musste dabei derartig lachen, dass das Publikum auch lachte, obwohl es nicht wusste, warum. Ich lachte, weil die ganze Chose zu absurd war. Ich machte hier experimentelle Kunst, und die Leute dachten, sie würden für wenig Geld eine große Show mit lauter Prominenten sehen. Vielleicht war es aber auch umgekehrt. Ich schmiss eine billige Show und bildete mir ein, dass das experimentelle Kunst sei. Jedenfalls war ich froh, als das ganze Theater vorbei war. Es hatte eh niemand verstanden, was ich da eigentlich wollte, mit den hängenden Fleischkoteletts in den Synchronisationskabinen, die die Stöhnkandidaten aufeinanderklatschen sollten, um Kopulationsgeräusche zu imitieren, mit den politpornografischen Zeichentrickfilmen, in denen Engel einen dreigliedrigen Penis entblößten, mit den unvermittelten Wodka-Toasts zwischendurch, die dazu dienten, die Bloody Mary Show zu integrieren, mit den schlüpfrig-poetischen Texten meiner schief gesungenen Lieder, mit dem ironischen Bauchtanz von Wiktor, der so die piefige Erscheinung von Philipp als Staubsauger-Geist herbeizauberte. Bei der Verabschiedung war Domenica gar nicht mehr dabei, Wollersheim hatte auch gleich die Bühne verlassen, weil er im Publikum irgendwelche Bekannten von sich begrüßen wollte, und Maxwell schlief einfach selig in seinem Sessel. Während ich der Gewinnerin einen der riesigen Gummipenisse aus meinem Fundus überreichte, unterhielt sich Wollersheim vorne an der Bühne ganz laut mit drei Vokuhila-Typen, die eindeutig dem Rotlichtmilieu angehörten. Sie kamen mir sogar bekannt vor. Wenn ich mich nicht irrte, wurde Wollersheim vom Schönen Mischa, Neger Kalle und Lamborghini Klaus für eine Spritztour durch Sankt Pauli abgeholt. Ich beendete die Show und rannte schnell in die Garderobe.

Ich schaute auf meinem Handy nach, wer mich die ganze Zeit versuchte anzurufen. Gina war das, wer sonst. Da sie schon sechzehn war, durfte sie das erwachsene Leben spielen. Dabei verlor sie dauernd die Schlüssel, dass Portemonnaie, das Handy. Ich hatte wiederum mein Handy immer nur deswegen bei mir und immer an, weil ich dadurch Ginas Katastrophen lösen konnte. Sie hatte einundzwanzig Mal meine Nummer gewählt. Schlauerweise hatte sie dann eine SMS geschrieben. Sie sei bei einer Demo gegen den seit einem Jahr als zweiter Bürgermeister und Innensenator vollkommen reaktionär regierenden Ronald Schill, volksmündig auch Richter Gnadenlos genannt und seine Partei Rechtsstaatlicher Offensive eingekesselt und festgenommen worden. Ich rief sie auf dem Handy an. Sie ging nicht ran. Ich rief sie zu Hause an. Sie ging nicht ran. Ich rief James an. Er wusste Bescheid. Sie hätte auch ihn angerufen. Er hätte aber keine Lust, sich um seine Tochter zu kümmern: Sie ist doch schon sechzehn und treibt sich sonst wo rum. Die wusste doch, was sie tat, als sie auf die Demo ging. Ich werde sie nicht aus dem Arrest holen. Das ist doch bestimmt irgendwo in der Walachei. Dieser Mann nervte.
– James, geh zur nächsten Wache und melde Gina als vermisst.
– Wieso denn?
– Ich will wissen, wohin diese Demonstranten gebracht wurden.
– Die soll selbst zusehen, wie sie da wegkommt. Es wird ihr schon nichts passieren. Andere sind ja auch da. Außerdem gibt es Nachtbusse. Du, ich muss mich jetzt um Domenica kümmern. Die ist fast am Verrecken. Die hat wohl heute zu viel gekokst. Ich muss sie jetzt ins Krankenhaus fahren. Ich komme nächste Woche vorbei, da kannst du mir ihr Honorar geben.
James legte auf. Ich ging zurück zum Bühnenraum an die Bar. Ich brauchte erst mal einen Schnaps. Die ganze Show hatten alle schön Wodka getrunken, nur ich hatte mich zurückhalten müssen, um den Überblick zu behalten. Kaum jemand war noch anwesend. Die Techniker rollten die Kabel ein. Es war ja auch spät, kurz nach Mitternacht. Der Barmann war am Räumen.
– Kann ich noch einen Wodka auf Eis haben?
– Es ist schon Feierabend, geh in die Kantine. Vielleicht kriegst du da noch was.
– Sag mal, wie alt bist du?
– Zwanzig, wieso?
– Es ist schon Mitternacht, du gehörst längst ins Bett. Stell mir eine Flasche Wodka hin, und mach deinen Scheißfeierabend.
– Sag mal, hast du mich etwa beleidigt?
– Du hast doch wohl gesehen, dass ich diese Show hier geschmissen habe, oder hast vor lauter Trinkgeldzählen alles verpasst, du verdammtes Räumkommando von Kampnagel.
– Die Bar gehört zur Kantine, und die gehört nicht zu Kampnagel.
– Labere keinen Scheiß. Ihr macht Umsatz mit den Gästen von Kampnagel, dann seid ihr doch Kampnagel, außerdem ist mir das egal. Meine Tochter sitzt gerade im Kittchen, und die ist fast genauso alt wie du, aber sie tut wenigstens was gegen die Rechten in dieser Stadt, die schon um zwölf Uhr Feierabend haben wollen. Kriege ich endlich meinen Wodka?
– Recht so Lola, und ich auch!
Neben mir stand Maxwell. Ich erzählte ihm von Gina. Maxwell ging ab. Er war schon seit Langem verliebt in Gina und wartete nur darauf, dass sie achtzehn wurde. Der Barmann drehte sich einfach um und verschwand. Wir versuchten, uns selber den Wodka aus der Bar zu fischen, als die Kantinenchefin Elke mit dem dämlichen Barmann im Schlepptau vor mir auftauchte.
– Finger weg, Lola Love, von meinen Getränken, und in der Kantine kriegst du heute auch nichts. Wenn du dich bei Jens nicht gleich entschuldigst, hast du bei mir für immer Hausverbot.
– Bist du bescheuert? Ich muss was trinken. Der Milchbubi hat mich einfach nicht bedient.
– Ich bin kein Milchbubi!
– Okay! Das reicht! Die Bar ist für dich für immer geschlossen!
– Du verdammte blöde Kuh!
Ich ging auf Elke los. Elke ging auf mich los. Maxwell stemmte sich dazwischen. Trotzdem schaffte ich es, Elke eine Ohrfeige zu klatschen. Sie versuchte mir eine zurückzugeben, aber Maxwell schob uns auseinander. Der Milchmann stellte sich vor Elke, Maxwell vor mich. Irgendjemand fotografierte mit Blitz. Maxwell sagte: Komm, Lola, lass das, die sind total doof, ich bestelle jetzt eine Taxe, wir gehen einfach in den Pudel.