Reinhart Buettner © Hans-Jürgen Herrmann

CO-LAB

oder Dienstleistung auf höchstem Niveau

Die vielen Sprechblasen, die in der letzten Zeit unsere intellektuelle Atemluft verderben und uns den Horizont verdecken, das viele Gerede von der angeblichen Autonomie der Kunst, vom Kunst- und Kulturmanagement, von raffinierten Budgettricks zum Zwecke der Kunstförderung und von selbstgebastelten Marktstrategien zur Erreichung besserer Verkaufszahlen, all das hinterlässt einen seltsam schalen Nachgeschmack und lässt uns unbefriedigt und ratlos zurück.

Nach meiner Beobachtung gleicht die momentane Szene einer Autistenveranstaltung im zugewiesenen Ghetto, die den eigenen Tellerrand eifersüchtig bewacht und an akuter, monströser Einfallslosigkeit leidet. Die kuratierten Ausstellungen werden immer langweiliger und beliebiger, die Künstler immer austauschbarer, abhängiger und unselbständiger. Die Situation ist dem depressiven Set aus der klassischen Neurosenlehre sehr ähnlich: das als übermächtig erlebte, gleichzeitig aber unfassbare feindliche Prinzip wird in auswegloser Not verinnerlicht um seiner da drinnen besser Herr werden zu können. Aus diesem neurotischen Kurzschluss stammt das Kuratorenunwesen mitsamt seinen zweifelhaften Strategien und seiner flächendeckenden Verbreitung. Man denke an die Wichtigkeitsverschiebung vom Künstler zum Kurator und an die Perversität von Kunstpreisen für Kuratoren und Galeristen. Der Moloch Markt, der seine Protagonisten frisst, kann leicht als dieses »feindliche Prinzip« identifiziert werden, er ist übermächtig, diktatorisch, Kreativität verschluckend und ein ungreifbares, eigendynamisches System, das sich jedem direkten Zugriff entzieht. Die Verinnerlichung besteht nun darin, dass sich Künstler in zunehmendem Maße wie Kuratoren benehmen und sich sogar zu solchen ausbilden respt. umschulen lassen, in der Hoffnung, auf diese Weise dem Phänomen Markt beizukommen. Das Ergebnis ist leicht vorherzusagen, es ist eine sich in AutoAggression austobende allgemeine Depressivität, die ursprünglich auf anderes zielte, das aber verinnerlicht wurde.
(Exkurs »Bumerang«)

CO-LAB von Reinhart Buettner © Hans-Jürgen Herrmann

Das Gegenmodell dazu sieht den Künstler als selbstbewussten, wohltrainierten Spezialisten, der seine Fähigkeiten in interdisziplinären Kooperationen anbietet. Das hat allerdings eine Reihe von Voraussetzungen, die unbequem und anstrengend, aber unerlässlich sind, um dieses
neue Selbstverständnis bzw. Selbstbewusstsein zu erreichen.

1 Abschied von der Luftnummer : »Autonomie der Kunst«
2 Hinwendung zum Gedanke der Dienstleistung
3 Identifizierung der speziellen Fähigkeiten, Benennung und Pflege derselben

Es kommen noch einige andere Voraussetzungen hinzu, wie Fleiß, Aufmerksamkeit und Genauigkeit und ein nimmer müdes Interesse an Wissen und Bildung. Zu Autonomie der Kunst ist anzumerken, dass sie eine als Notgeburt zur Welt gekommene fixe Idee ist, die zeitgleich mit dem historischen Zusammenbruch der Auftragslage für die Künstler auftrat, also eine aus wirtschaftlicher Not entstandene paradoxe Phantasie, die im Untergang von Unabhängigkeit träumt. Nichts auf dieser Welt ist unabhängig und schon gar nicht die Kunst. Die Autonomie, die Eigengesetztlichkeit mag existieren wie sie will, sie ist aber ohne jeglichen Sinn und Nutzen, je lauter sie gefordert wird, desto mutwilliger manövriert sie die Kunst an den Rand des Diskurses und damit in die Isolation des gesellschaftlichen Abseits.

Da aber sind wir ja jetzt schon und da wollen wir nicht sein, dieses Gelände ist unfruchtbar und wüst, voll abgemagerter, herrenloser Hunde und gestrandeter Figuren, das ist ein schlechter Umgang für produktive Geister. Wäre die Kunst autonom, folgte also nur eigenen Gesetzen, wer bildete dann die Legislative? Die Mehrheit, der Markt mit Angebot und Nachfrage, die Geschichte, der Staat, die Öffentlichkeit, die Presse, die Mode, das Geld, die Künstler selbst? Sie sehen, wohin das führt …

Die Dienstleistung hingegen ist eine, zwar bescheidene, aber durchaus ehrenvolle Arbeit. Sie leistet – wie der Name sagt – einen Dienst und muss, wenn sie erträglich sein soll, freiwillig sein. Galeeren-, Sklaven- und Fronarbeit zählt nicht zu den Dienstleistungen, Beratung, abgestimmte und qualifizierte Auftragsarbeit, Werkverträge und Spezialistentätigkeit dagegen schon. Nahezu alle Werke, die wir heute aus der Kunstgeschichte kennen, waren Ergebnisse von Aufträgen im Sinne einer Dienstleistung, was wir gerne vergessen, oder was uns durch die heroische Künstler-Kunstgeschichte zu vergessen nahegelegt wurde. Diese Aufträge waren gewiss nicht immer einfach, genügend Raum lassend und respektvoll, wie uns die Sozialgeschichte der Kunst lehrt. Die Kontroll-Besuche bei Michelangelo, das Weglaufen Leonardos, der Lakaientisch Haydns, Mozarts Aufbegehren und Schillers, Lenzens, Hölderlins Subordinationsprobleme erzählen genug darüber, selbst ein so gewandter, bürgerlicher Karrierist wie Goethe musste gelegentlich dem Klatsch des Hofes und der Residenz-Kleinstadt Tribut zollen. Also, einfach ist die Dienstleistung mitnichten, aber sie ist immer noch leichter zu ertragen, als die entwürdigende Abhängigkeit von Almosen, wie auch immer sie genannt und bemäntelt werden. Eine Voraussetzung für gelingende Dienstleistung ist die wache Teilnahme am Diskurs, ein Mindestmaß an Bildung und die Ausprägung von Spezialitäten, die auch im nicht-künstlerischen Bereich von Nutzen sein können. Dazu haben Künstler in der Regel Einiges zu bieten, sind sich dessen allerdings selten bewusst und verschleudern einen Großteil ihres sozialen Kapitals.

Diese Spezialitäten, aus denen das Spezialistenselbstbewusstsein erwächst, müssen jeweils identifiziert, trainiert und gepflegt werden, um sie anbieten zu können.
Da gibt es selbstredend die zu den einzelnen künstlerischen Sparten gehörenden besonderen Begabungen, wie die visuelle Wahrnehmung bei den bildenden Künstlern, die Gehör- und rhythmische Bildung bei Musikern, die sprachlichen Formulierungskünste bei den Schriftstellern, die reflektierte Bewegung bei den Tänzern, die spatiale und taktile Sensibilität bei den Raumkünstlern, etc. etc.
Korrespondierend dazu existiert in den nicht-künstlerischen Arealen unseres Alltags ein großer Bedarf an entsprechenden Spezialisten. In der Farbenindustrie beispielsweise, in den Materialwissenschaften, im Bauwesen, in der Verkehrsplanung, im Sammlungs- und Archivwesen, in der Stadtentwicklung, in der Tourismusbranche, in der Bildung, etc. etc.

Darüber hinaus sind Künstler meist einigermaßen erfindungsreich, entwickeln außergewöhnliche Ideen und haben es vergleichsweise leicht mit alternativen Vorschlägen und unkonventionellen Entwürfen. Auch da liegt vieles brach, Beiträge von Externen werden selten als besondere Qualitäten erkannt, obwohl man sie dringend braucht. Human Ressource- und Innovationsfachleute sind gut beraten, Freundschaften mit Künstlern zu pflegen und umgekehrt sollten Künstler sich lieber mit solchen Leuten umgeben, als ständig den Kulturverwaltern und Kunstmanagern hinterher zu laufen, die ohnehin wenig bis nichts mit lebenden Künstlern zu tun haben, geschweige denn irgendetwas von ihren Fähigkeiten und Spezialitäten verstehen.
Da es für die meisten speziellen Fähigkeiten, Tätigkeitsschwerpunkte und besonderen Begabungen von Künstlern keine, oder noch keine Berufsbilder gibt (weshalb sie sich letztlich im Sammelbecken der künstlerischen Berufe wiederfinden) ist das Finden der gesellschaftlichen Andockstellen nicht einfach. Statt sich mit zeitfressenden Aushilfsjobs der untersten Kategorie herumzuplagen und dem entsprechenden Gesicht herumzulaufen, wäre eine Erweiterung des Kunstverständnisses durchaus angeraten, nicht Erweiterung im Sinne des allgemeinen Kunst- und Feuilletonistengeschwätzes, sondern Erweiterung in Richtung qualifizierter Dienstleistung und wenn es sein kann, sogar:
Kunst im Verständnis einer Dienstleistung auf dem höchst möglichen Niveau

Co-Laboration heißt das Stichwort der Zukunft, auch und besonders für Künstler und dazu müssen wir den hohen Rücken unseres 19.Jahrhundert-Rosses verlassen, uns auf dem Boden der realen Verhältnisse mit anderen treffen und ihnen unsere Mitarbeit – nicht etwa unsere Produkte – anbieten, mit dem überzeugenden Versprechen, dass ihre Arbeit dadurch interessanter, facettenreicher und effektiver und humaner wird.
Bon courage, liebe Freunde, wir sind noch lange nicht am Ende, auch wenn es bisweilen so aussehen mag …