Am Rand des historischen Dorfkerns von Bornheim, in der Eulengasse neben der Hausnummer 65, steht ein kleiner Bau – eigentlich nur ein einzelner Raum –, in dem früher ein alter Schuster Schuhe besohlte. Nach dessen Ruhestand diente der 17 qm große Raum dem Künstler Stehn Raupach als erstes Atelier. Im Schaufenster präsentierte er hin und wieder seine Arbeiten den vorbeilaufenden Passanten. So wurden der Architekt Harald Etzemüller und der Kommunikationsdesigner Vládmir Combre de Sena, die nebenan ihre Büroräume eröffnet hatten, auf den Künstler aufmerksam und man freundete sich an. Mit dem Umzug Raupachs in ein größeres Atelier sollte das kleine Räumchen leerstehen. Schade, dachten sich die drei, warum macht man denn daraus nicht einen Ort, an dem wir und Freunde Kunst zeigen können?
Gesagt, getan: so gründeten sie zusammen mit den Künstler und Bruder der Raum-Eigentümerin Dirk Kalthoff, dem Fotografen Manfred Veltrup und dem Bühnenbildner Stephan F. Rinke 2003 den gemeinnützigen »Verein zur Förderung zeitgenössischer Kunst und Kultur« mit dem naheliegenden Namen EULENGASSE. So entstand ein gemeinsames Experimentierfeld für alles, was mit Kunst zu tun haben könnte. In Eigenregie weißelte man die Wände, installierte eine Lichtleiste, und fertig war der Ausstellungsraum EULENGASSE, eröffnet im Dezember 2003 mit der ersten »öffentlichen« Ausstellung von Stehn Raupach, GOLD. Im Monatstakt konnten Anwohner und Interessierte durch das Schaufenster oder bei den Vernissagen Arbeiten und Kunst-Experimente der Vereinsgründer begutachten, unter anderem die Installation LUFTAUFNAHME, die den Eindruck erweckte, der gesamte Laden sei mit roten Ballons gefüllt.
Das Projekt SEM PALAVRAS – OHNE WORTE, zeitgenössische deutsche Kunst im Dialog – Brasilien, markierte 2007 einen weiteren Schritt zum »Erwachsen werden« von EULENGASSE. Man baute dafür gezielt den Kontakt zu anderen Kunstinstitutionen, Offspaces und Galerien auf wie Atelier Frankfurt, basis e.V., Kunstverein Familie Montez, Galerie Perpétuel, Galerie Wolfstädter, dem BOK Offenbach, der Klosterpresse e.V. u.a. und bat um Arbeiten von interessierten Künstlern, die man in einer Ausstellung in Olinda, Brasilien, und entsprechende Antworten in Offenbach präsentierte. Im gleichen Jahr wurde auch erstmals Tagesreisen mit Mitgliedern von EULENGASSE zur documenta 12 nach Kassel organisiert, welche großen Zuspruch bei Kunstinteressierten jeden Alters fanden.
Ab 2008 beschlossen die Mitglieder, die Ausstellungen unter ein Jahresthema zu subsumieren. Diese inhaltliche Sedimentierung der diversen Ausstellungsaktivitäten hatte unterschiedliche Ziele: Die Ausstellungsstruktur änderte sich, es wurden Einzel- oder Duoausstellungen sowie zwei bis drei Gruppenausstellungen zu einem Thema entwickelt. Die kuratorische Arbeit trat mehr und mehr in den Vordergrund. (Siehe auch »Der rote Faden« Das Jahresthema als Orientierungshilfe für die Kunstvermittlung. Ab Seite 14) Außerdem erleichterte dies die Organisation und Strukturierung der inzwischen zahlreichen Anfragen von externen Künstlern nach einem Ausstellungstermin. Daneben wurden in lockerer Reihe Zeichen- und Malkurse oder auch Diskussionsforen zu kunstpolitischen Themen einem interessierten Publikum angeboten.
Das Jahr 2009 markierte für die »Eulengässler« einen Wendepunkt: sie verloren den kleinen Raum aufgrund des Eigenbedarfs des Vermieters. War dies das Ende? Nein! war der einhellige Beschluss aller aktiven Mitglieder. Doch einen neuen, erschwinglichen Raum zu finden – er sollte sich weiterhin in Bornheim befinden und unbedingt ein Schaufenster als »Kommunikationsfläche außerhalb der Öffnungszeiten« besitzen – würde einige Zeit dauern. Was sollte währenddessen passieren? Die Lösung kam prompt und überraschend: Von allen Seiten boten befreundete Künstler und Institutionen ihre Räumlichkeiten zur Ausstellungsnutzung an. Auf diese Weise war EULENGASSE ein ganzes Jahr lang ZU GAST BEI… Neben Ausstellungen wurden so u.a. mit FÜTTERN IM GRÜNEN performative Aktionen, Essen, Trinken, Spiele und Experimente im Hinterhof der Künstlerin Sofia Greff zu einem EULENGASSE-Kunst-Event der besonderen Art.
Neben Ausstellungen von Mitgliedern (z .B. Rahulla Torabi ORTE, Almut Aue viel zeugs) stellen immer wieder auch eingeladene Künstler aus. In jüngster Zeit zeigte EULENGASSE u.a. Arbeiten von Jos Diegel, Vanja Vukovic, Martha Rosler, Mariola Brillowska oder zuletzt die kuratorische Ausstellungsarbeit von Saul Judd mit FAKE (Mario Hergueta, Gordon Matta-Clark, Kai Linke, Live-Videoperformance Angelo Luz, Brasilien), die speziell für unsere Räumlichkeiten entwickelt wurde.
Die »Schuhschachtel« ist erwachsen geworden. Sie zählt inzwischen über 40 Mitglieder und die kreative Lust auf künstlerische Experimente zeigt sich in keinster Weise gemindert. Das lässt gespannt sein auf die nächsten 10 Jahre.