Der öffentliche Raum ist ein von Interessen umkämpfter Raum. Michel der Certeau beschreibt den (öffentlichen) Raum überdies als Resultat der darin vorkommenden Aktivitäten. Warum ist es wichtig, dass sich Kunst in diesen Kampf, in diese Aktivitäten einmischt, und welche Siege kann sie dabei erzielen?
Wenn man sich fragt, welches Subjekt den öffentlichen Raum gestalten darf, so sind das industrielle, wirtschaftliche, staatliche und öffentliche Interessen. Was unterscheidet den öffentlichen Raum in Metropolen, heute noch – der Grad der Sicherheit gepaart mit Einbußen der Gestaltungsfreiheit? Wie privat kann Bewegung im öffentlichen Raum sein, und die Festung des persönlichen Handlungsraumes? Habe ich eine Wahl? Partizipiere ich an der Hure Großstadt (nicht die religiös babylonische, sondern die ghettoisierte)? Das Globale wirkt sich unterschiedlich auf die Stadtteile aus; vor- und nachteilig. Im Grunde geht es mir um eine Science-fiction-artige Sprache, die den Sieg im Handeln über gesellschaftliche Gestaltung nach der Frage des Privaten übernimmt. Wie viel Privatsphäre ist öffentlich und wie viel Öffentlichkeit privat? Durch die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen entsteht eine Art schöpferisches Engagement.
Saskia Sassen unterscheidet öffentlichen Raum von öffentlich zugänglichem Raum. Welche Erwartungen verbindest Du selbst mit dem öffentlichen Raum? Antike Agora oder moderne Mall?
Prinzipiell sehe ich die antike Agora schwinden und durch eine moderne Mall als Unterhaltungsprogramm ausgetauscht. Eigentlich geht es mir um die Rekonstruktion des Einspruchs und des Widerspruchs, um Fragen stellen – ob sinnlos oder sinnvoll gegen die bourgeoise-kapitalistische Moderne und deren Profanität oder deren Narzissmus (»transzendentale Obdachlosigkeit« Georg Lukács) einerseits und anderseits möchte ich Gesellschaftsschichten eine Stimme geben, deren Status es vielleicht nicht erlaubt, überhaupt eine Meinung zu äußern. Dafür ist die Straße oder eine Art Versammlungsplatz am besten geeignet.
Man spricht in der Kunst seit ein paar Jahren vom social turn. Gemeint damit ist die Einbeziehung von sozialen Prozessen und ihre Veränderung durch künstlerische Aktivitäten. Inwiefern würdest du Deine Arbeit mit dem social turn assoziieren?
Ich sehe darin die Möglichkeit der Zusammenarbeit, des Austauschs und Dialogs im Sinne einer Verantwortung und nicht die der Ausbeutung und des Exotismus sowie der Esoterik mit »echten« Menschen (also keine Freunde, Kollegen, Bekannte). Von einer Art Pädagogik kann aber hier nicht die Rede sein. Im Prinzip haben diese Menschen großen Einfluss auf das Projekt und wie es letztendlich aussehen wird.
Die Kunst verfügt, nach Jacques Rancière, über einen emanzipatorischen Rahmen, innerhalb dessen der Betrachter die eigene kreative Vorstellung üben könne. Geteilte Kreativität zwischen Künstler und Betrachter, wie in partizipatorischen Arbeiten, eröffne Möglichkeiten zu neuen Handlungsweisen. Macht sich der Künstler durch eine solche Praxis nicht überflüssig à la longue?
Gibt es in der Kunst noch soziale Innovationen
– die der Kommunikationsrevolution? Im Grunde ist es doch ein ewiger Prozess, der sich wandelt: agieren – reagieren – Zufallswurf, welcher nicht aufhören wird. überflüssig die Frage, ob es je gelöst wird.
Welche Bedeutung hat jene Kunst für dich, zu deren Herstellung und Verwendung andere Menschen – Künstler oder Nicht-Künstler, das Publikum – involviert sind?
Hiermit biete ich Partizipation und einen Platz in der gestalterischen Gesellschaft innerhalb eines Projektes. Einerseits ist es ein Spiel zwischen Fiktion und Realität sowie deren Überschneidung und anderseits geht es mir darum, andere Menschen zu verstehen.
Welche Erfahrungen hast du bei Deinen bisherigen Projekten gemacht, die die aktive Beteiligung des Publikums, insbesondere die Herstellung und Realisierung der Projekte betreffend, erfordert haben?
Bei dem öffentlichen Raum handelt es sich um eine Sphäre, worin alle involviert sind. Insofern ist der Gedanke interessant, dass tatsächlich keine Abstriche gemacht werden müssen und deren Reduktion nicht von Nöten ist. Gerade dieser Gedanke, nicht auszuwählen, oder zu selektieren (soweit eine Objektivität überhaupt gegeben sein kann) und sich auf Personen einzulassen, die – wenn man ein Projekt durchplanen würde – vielleicht gerade nicht auswählen würde, macht einen Teil der Arbeit aus. Diese Gegensätzlichkeit von Öffentlichkeit und Privatheit und deren Grenzen sowie deren repräsentative Rolle ist interessant. Was heißt eigentlich existenzialistische Teilhabe oder auch der Begriff der öffentlichen Meinung? Welcher Wandlung ist die Öffentlichkeit unterworfen? Wir treffen uns weder im Kaffee noch am runden Tisch, sondern auf der Straße und die Konfrontation meiner Kamera fordert eine Reaktion, die vom Protagonisten eine Kommunikation verlangt und ganz in seiner und meiner Hand liegt. Durch die Interaktivität sinkt die Anonymität. Es ist immer wieder spannend, welche Reaktionen daraus resultieren und wo im 2.0-Zeitalter die Grenzen liegen.
Innerhalb der partizipatiorischen Kunst kann man zwischen Ausführenden und Mit-Schaffenden unterscheiden. Die Kunst als Idee und das Resultat als soziale Arbeit?
Als Künstlerin bin ich bei diesem Projekt nicht »Sozialarbeiterin«, will auch die Stadt nicht dekorieren oder an der Stadtplanung teilnehmen, sondern fremde Menschen involvieren und in Interaktion treten. Das Projekt soll auch nicht gefällig sein und ich wehre mich gegen die Nutzbarkeit bezüglich einer Sinnindustrie des Kapitalismus. Widersprüchliche Elemente interessieren mich.
Jean-Luc Nancy kritisiert die Gemeinschaft in ihrem Gemein-Sein, einer quasi religiös gestifteten Identität. Vielfalt, so Boris Groys, sei der primäre Wert, den die partizipatorische Praxis herstelle. Worin besteht nun eigentlich dieser Trend zu Kooperationen, Kollaborationen, Künstlerkollektiven – abseits einer erfolgreichen Kommunikation innerhalb des Kunstsystems?
Hier würde ich gern mein Publikumsjoker Wikipedia einsetzen, aber nach Lacan gibt es keine Transparenz der Kommunikation, demnach keine konstruktive, nachweisbare zumindest. Gelingt sie oder nicht? Fragen von Interessengemeinschaft, Reibung, Konfrontation, Erkenntnisgewinn, Uniformierung und Opportunismus in Bezug auf das Kunstsystem tauchen auf.
Vieles der partizipatorischen Kunst referiert auf Happening oder Theater. Eine dieser Diskursformen, die aus der ehemaligen Sowjetunion der 1920er Jahre stammt, namentlich das unsichtbare Theater, hob radikal die Trennung von Schauspieler und Zuschauer auf. Welche Beziehung hast Du und hat Deine Kunst mit dem Theater?
Als Akteurin im öffentlichen Raum im Rahmen dieser Kunstaktion spielt immer etwas bezüglich dessen mit (per se die Definition von Theater). Ich versuche, die Leute mit einzubeziehen – raus aus der Realität und rein in den Kunstprozess, eine emotionale Beteiligung, eine Verunsicherung des Publikums mit rebellischem Charakter. Ein Innehalten und Verwunderung – es ist gut, mal verstört zu sein.
Wie wichtig ist es Dir, mit Deiner Kunst auf das Verhalten der anderen einzuwirken? Von welchen Erwartungen (D)eines Publikums gehst du normalerweise aus?
Es ist ein Laborversuch an der Realität, der das Verhältnis von privat und öffentlich thematisiert. Im besten Fall besteht Interesse am gegenseitigen Verständnis und der Teilnahme an Überlegungen. Ich sammle Erfahrung. Ich beobachte das Verhalten von Leuten, schüre ein wenig Misstrauen und Irritation und stelle auch damit andererseits das Kunstprojekt wieder in Frage.